Nach fast zwei Jahren Pandemie: Querdenker immer gefährlicher

  • von  AK gegen Rechts
    27.12.2021
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Foto: Rüdiger Löster

An einem Freitagabend, Anfang Dezember: ca. 30 Coronaleugner*innen und Rechtsextremist*innen marschieren mit Fackeln und Trommeln vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping auf. Am gleichen Wochenende demonstrieren Tausende in verschiedenen Städten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Sie rufen dazu auf, sich nicht impfen zu lassen, wieder gibt es massive Angriffe auf Journalist*innen. 

In den Telegram-Chats der Querdenker werden nicht nur Politiker, sondern auch Lehrer, Ärzte und Wissenschaftler bedroht, es wird dazu aufgerufen, deren Privatadressen zu sammeln und sie an ihrem Wohnort zu besuchen. Ärzte, die sich an der Impfkampagne beteiligen, werden mit dem SS-Arzt Mengele verglichen. In den Kommentaren will man die Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen am „Galgen baumeln“ sehen und es wird mit Erschießen gedroht, den Impfzentren werden Anschläge angekündigt. Der Nordbayerische Kurier berichtet Anfang Dezember, dass in einer Bayreuther Chatgruppe zu Brandanschlägen auf Test- und Impfzentren aufgerufen wurde. Laut einem Bericht der Tagesschau vom 25. September 2021 gab es seit Beginn der Impfungen gegen das Coronavirus in nahezu allen Bundesländern Angriffe gegen Impfzentren oder Störungen von Impfaktionen, besonders viele in Bayern und Sachsen: Drohungen, Beleidigungen, körperliche Angriffe und in Sachsen eine Brandstiftung. Aufgeheizt durch Hetze und Lügen auf Telegram, Youtube und Facebook terrorisiert diese selbstherrliche und verantwortungslose Meute ihre Mitmenschen im Alltag. Sei es durch verbale Gewalt beim Verweigern und Brechen der Corona-Regeln oder „echte“, physische Gewalt. Und wie der Mord eines Coronaleugners an einem Tankstellenmitarbeiter zeigte: es besteht die reale Gefahr, dass dies umgesetzt wird. Fühlen sie sich doch als „Freiheitskämpfer gegen eine Diktatur“, wie beispielsweise eine „Jana aus Kassel“, die auf einer Querdenker-Kundgebung meinte, sie sei wie Sophie Scholl, sie verteile Flugblätter und spreche auf Kundgebungen, sie sei „im Widerstand“. „Im Widerstand“ gegen eine angebliche Diktatur Hand in Hand mit Nazis…

Radikale Impfgegner, Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige werden mit ihren Wahnvorstellungen zu einer immer größeren Sicherheitsgefahr in Deutschland. Aber bisher hat man diese Menschen - auch in Nürnberg - unbehelligt demonstrieren lassen, trotz ihrer Verstöße gegen die Auflagen. Auch ihre faschistoide Hetze und die Mordaufrufe im Netz werden scheinbar hingenommen, geltendes Recht wurde bisher kaum durchgesetzt. Und so feiern sie ihren Egoismus weiterhin als „Kampf für die Freiheit“.

Esoteriker*innen, Homöopath*innen, Verschwörungsideolog*innen und Nazis Hand in Hand

Seit dem Frühjahr 2020 versammeln sie sich regelmäßig auf den Straßen Nürnbergs. Und mit Nazis will man eigentlich nichts zu tun haben - so die Organisator*innen. Die Realität sieht anders aus, von Anfang an waren Neonazis, waren Aktivist*innen der rassistischen PEGIDA-Bewegung, Holocaustleugner*innen und AfD-Funktionär*innen dabei. Dass die NPD inzwischen mit eigenem Transparent mitmarschiert, scheint kein Problem zu sein. Für den angeblich nötigen Freiheitskampf gegen die „Eliten“ findet man sich gern mit Rechtsextremisten zusammen:

Als dieser Artikel geschrieben wird, ruft gerade die bayerische AfD zu einer landesweiten Demonstration in Nürnberg am 19. Dezember auf. Die gesamte regionale Querdenkerszene mobilisiert dafür. Sie mobilisieren für die Demonstration einer Partei, die offen zum gewalttätigen Umsturz aufruft. So wurden erst vor kurzem die Chat-Protokolle einer AfD-Telegram-Gruppe bekannt, in der fast alle bayerischen Mandatsträger*innen und Landesvorstandsmitglieder fleißig mitdiskutieren. Da schreibt eine AfD-Landtagsabgeordnete: "Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden." Ein oberbayerischer Kreisvorsitzender schreibt: "Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr." Er beklagt die "regierenden Verbrecher" und stellt fest: "Wahlen helfen ohnehin nicht mehr." Georg Hock, Mitglied des Landesvorstandes der AfD in Bayern, reagiert darauf mit den Worten "absolute Zustimmung". Und weiter meint er: "Wir brauchen die totale Revolution. Anzünden müsste man diese ganze Politik." Zu den Administratoren der Gruppe zählt Stephan Protschka, Bundestagsabgeordneter, Mitglied im AfD-Bundesvorstand und seit Oktober neuer Landesvorsitzender in Bayern. Mit solchen faschistoiden Funktionären demonstrieren die Querdenker, reden aber gleichzeitig etwas von „Frieden und Freiheit“…

Esoterik und rechte Ideologie - passt das zusammen?

Die Verschwörungstheorien  zum Impfstoff meinen, dass der Corona-Impfstoff gesundheitsschädlich sei, diese Aussagen kommen häufig aus der Esoterik-Szene, die auch bei den Demonstrationen stark vertreten ist. Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun stellt dazu in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk fest, dass es starke Überschneidungen zwischen einem esoterischen Weltbild und einem verschwörungsideologischen Weltbild gebe. Beide teilen die Welt in Gut und Böse und sehen sich als erleuchtete Gruppe, die hinter die Kulissen blicken könne. Und weiter: „Wenn man sich mit diesem Milieu beschäftigt, stellt man fest: Es gab schon immer Querverbindungen. Es gab esoterische Gruppen, die Verschwörungserzählungen verbreitet haben, die auch rechtes Gedankengut verbreitet haben. Im Bereich Esoterik gibt es immer wieder Gruppierungen, die sich selbst nicht als Rechtsextreme sehen, die aber mehr oder weniger die Geschichten von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung erzählen, die angeblich hinter allem steckt. Hier muss man sagen, da befindet man sich ganz klar im rechtsextremen Milieu.“ Antisemitische Deutungen und Relativierungen der Shoa sind nicht mehr nur online zu finden, also zum Beispiel in Chatgruppen und in Sozialen Medien, sondern auch auf fast jeder „Corona-Rebellen-Demonstration“ im gesamten Bundesgebiet. Auch in Nürnberg war der gelbe Stern mit der Inschrift „ungeimpft“ auf den Demonstrationen schon zu sehen, in Reden wurde von einer Verschwörung von „Rockefeller und Co.“ gesprochen.

Eine „impfkritische“ Erzählung behauptet zum Beispiel, dass Bill Gates die Coronaimpfstoffe nutzen will, um die Weltherrschaft zu erlangen und deshalb die Covid-19-Pandemie „erfunden“ habe. Je nach Erzählung sollen die Menschen „gechipt“ oder mit der Impfung unfruchtbar gemacht oder sogar umgebracht werden, in einigen Chatgruppen wurde die Booster-Impfung als ultimative Todesspritze bezeichnet. Dies ist gefährlich: Derartige Erzählungen erzeugen Hass auf diejenigen, die für die „Elite“ oder ihre „Erfüllungsgehilfen“ gehalten werden. Verschwörungsideologen entwerfen so ein apokalyptisches Szenario, einen Kampf zwischen Gut und Böse, „Aufgewachten“ und Verschwörer*innen. Dadurch wird letztlich Gewalt legitimiert. Solche Erzählungen sind stark antisemitisch eingefärbt, auch wenn sie nicht ausdrücklich jüdische Menschen als Verschwörer*innen benennen. Also ausreichend Anknüpfungspunkte, um diese Szene für Neonazis, für Faschisten attraktiv zu machen. Und die bei den Demonstrationen mitlaufende Esoterik-Szene hat damit kein Problem, in ihren Augen gehe es nicht mehr um „links gegen rechts“, „Demokraten gegen rechts“, sondern es sei ja ein „Widerstandskampf gegen die Eliten“, bei dem jede*r willkommen sei.

Für den Rechtsstaat kann das nur eins bedeuten: Er muss endlich klare Kante zeigen. Regelverstöße müssen geahndet und Grenzen müssen aufgezeigt werden - auch in den sozialen Medien. Denn wenn der Staat sich machtlos zeigt gegen die Feinde der Demokratie, werden diese noch gefährlicher. Und die Zivilgesellschaft ist gefordert: wir müssen Verschwörungsideologien entgegentreten, dürfen ihnen nicht die Straße überlassen. Es gibt sicher einiges an der Pandemiebekämpfung zu kritisieren: bundesweit uneinheitliche Maßnahmen, nicht funktionierende Impfkampagne durch zu schnelle Schließung der Impfzentren im Sommer, oft zu spätes Reagieren, wenn die Inzidenzzahlen nach oben gehen, zu frühe Lockerungen, wenn die Zahlen mal runter gehen, das Beharren auf die Patente für die Impfstoffe usw. usw. Aber keiner dieser Kritikpunkte ist ein Grund dafür, bei Verschwörungsideolog*innen, Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen und Neonazis mitzulaufen und ihnen auf den Leim zu gehen.